VON ZU Allgemein | 28.09.2012
SCHLAGWÖRTER

Städte im Social Web:

„Die Kommune muss Zuhören wollen.”

Harald Ille war bis vor kurzem Social-Media-Beauftragter der Stadt Frankfurt am Main. Im Interview erklärt er, warum eine Stadt ihre Fans und Follower manchmal ans Herz drücken muss, Behördendeutsch im Social Web tabu ist und niemand mit einer Büroklammer befreundet sein will.

Die Stadt Frankfurt betreibt seit Juni 2009 aktiv Social-Media-Angebote. Begonnen hat die Stadt mit einem Twitter-Kanal, den Sie betreut haben. Wie würden Sie Ihre Erfahrungen beschreiben?

Twitter entstaubt Behördenkommunikation

Harald Ille: Es ist spannend, wie viel Information und Ansprache, wie viel Aktion und Dialog in 140 Zeichen möglich sind. Es ist wie das Texten guter Headlines: In extremer Kürze kommunale Inhalte prägnant und attraktiv zu formulieren, die Leser einzuladen, mit der Stadt ins Gespräch zu kommen, und dann noch die User zu animieren, auf den Link mit den ausformulierten News zu klicken – das alleine macht schon großen Spaß. Ich spiele gerne mit der Sprache, was leider in manchen Fällen arg schief geht, aber: Twitter ist eine tolle Spielwiese für eine moderne, unverstaubte Behördenkommunikation. Die vielen anderen Vorteile von dialogorientiertem Bürgerservice und vernetzter Multiplikatorenkommunikation und so weiter sind sehr wichtig – aber am tollsten ist der Spaß, den das alles macht!

Neben Twitter nutzt die Stadt Frankfurt auch beispielsweise Facebook, Youtube oder Google Plus – welche Rolle spielen soziale Medien in der kommunalen Pressearbeit?

Durch Social Media wird der Bürger zum Briefträger

Harald Ille: Die Stadt Frankfurt möchte, dass die Bürgerinnen und Bürger ihre Kommune, ihre Verwaltung als frisch, interessiert und dynamisch erleben – und das am besten jeden Tag mehrfach. Viele Inhalte werden den Bürgerinnen und Bürgern ganz zwanglos und einfach nahegebracht, manchmal auch als lustiges Video. Das Social Web ist dafür ideal: Die einzelnen Kanäle sind oft „Push-Kanäle“, die zudem die Inhalte über den Vernetzungs- und Multiplikationseffekt in Ecken tragen, an die man als Kommunikationsbeauftragte der Stadt gar nicht gedacht hätte. Die Bürger und User sind selbst die Postboten, und die Stadt erreicht so Menschen, die über die klassische Öffentlichkeitsarbeit oftmals nicht oder nur partiell erreichen würden. Die Stadt möchte permanent ansprechbar sein, aber sich auch permanent bei den Bürgern zeigen und in Erinnerung rufen: „Die Stadt ist immer da, sie kümmert sich, sie ist an Dir interessiert, und sie will, dass Du Dich wohlfühlst“. Man fühlt sich wohl, wenn man sich ernstgenommen, aufgehoben, wertgeschätzt und informiert fühlt – und das ist das Ziel der städtischen Öffentlichkeitsarbeit in Frankfurt.

Stadtverwaltungen sind bürokratisch organisiert. Das bedeutet zum Beispiel, dass Dienstwege eingehalten werden müssen – es gibt ein System von genau definierten Verfahrensweisen, Regeln und Vorschriften. Daraus ergibt sich ein Konflikt mit der Kommunikationskultur von sozialen Medien, die sich zum Beispiel durch flache Hierarchien, Schnelligkeit und ständige Verfügbarkeit auszeichnet. Wie wird dieses Problem bei der Stadt Frankfurt gelöst?

Manchmal bleibt in der Hektik auch mal ein Post liegen

Harald Ille: Das Presseamt hat schon immer den Auftrag, Journalistinnen und Journalisten so schnell und so umfassend wie möglich zu informieren – das geht nur durch schnelle und hierarchiefreie Kommunikationswege. Zudem gibt es seit über fünfzig Jahren eine eingespielte Struktur der Bürgerkommunikation, eine Bürgerberatung, der die verschiedenen Ämter in Frankfurt zeitnahst zuarbeiten müssen.  Beide „Welten“, die sich inhaltlich und formal ja überhaupt nicht ernsthaft voneinander unterscheiden, können Kommunen in den sozialen Medien nutzen: Bürger haben eine Frage, man besorgt möglichst fix eine substantielle Antwort bei den Fachleuten in den Ämtern. Ich denke, dass das grundsätzlich ganz gut klappt. Klar geht in der Hektik des Alltags nicht immer alles reibungslos und mancher Tweet oder Post bleibt mal ein paar Stunden oder leider auch mal einige Tage liegen – aber das ist dann keine Absicht, sondern schlicht Arbeitsüberlastung! Die redaktionellen Fragen darüber, was und wie gepostet wird, liegt in Frankfurt zudem bei den Kommunikationsverantwortlichen alleine. Anders ginge das ja nicht. Der allermeiste Content kommt ja ohnehin aus der Verwaltung und ist daher bereits von den Hierarchen im Prinzip „abgesegnet“.

Kommunale Öffentlichkeitsarbeit ist gesetzlich zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet. In der Kommunikationspraxis führt das zur Vermeidung von Diskussionen. Wie kann eine Stadt dennoch über soziale Medien mehr Bürgerbeteiligung herstellen oder Bürger in demokratische Entscheidungsprozesse mit einbeziehen?

Virulente Themen werden in den Magistrat gebracht

Harald Ille: Die Mitarbeiter vom Presseamt halten sich zu allererst an die Linie, die der Magistrat der Stadt vorgibt. In zweiter Linie wird zugehört: Wenn ein Thema virulent wird, mit dem sich die Stadtregierung noch nicht beschäftigt hat, dann ist es Aufgabe des Presseamtes, dieses Thema an die zuständigen Stellen weiterzuleiten. So entsteht ganz nebenbei Teilhabe: Die Bürger können sich an die Stadt wenden, und die Kommunikationsverantwortlichen versuchen, die Themen in den Magistrat zu bringen. Das klappt nicht immer und dauert bisweilen lange, aber die Möglichkeit ist da. Man merkt auch – der Bürgerhaushalt und das Integrationskonzept sind zwei prominente Frankfurter Beispiele –, dass die Verwaltung und die Politik vermehrt die Bürger einbeziehen will, weil das einfach zu effizienteren Ergebnissen führt, die eine höhere Akzeptanz finden. Der „Zeitgeist“, den die sozialen Medien stark mit beeinflussen, hat die Haltung der Politik verändert: Die Bürger vor einer Planung zu fragen, sie mit in eine Planung einzubeziehen, ihnen Verantwortung für die Gestaltung ihrer Stadt zurückzugeben und eher empathisch-moderierend als machtbewusst-entscheidend zu agieren – das ist moderne Politik, und viele Politikerinnen und Politiker haben das auch erkannt.

Nach wie vor herrscht große Unsicherheit im Umgang mit sozialen Medien, in Unternehmen wie in städtischen Kommunen. Welche Hilfestellungen können Kommunen ihren Mitarbeitern bieten, die mit Social-Media-Kommunikation beauftragt sind?

Social Media ist eine Haltungsfrage

Harald Ille: Zuerst müssen ein paar sehr grundsätzliche Fragen eindeutig geklärt werden:  Wollt Ihr Euch wirklich auf den Dialog einlassen? Wollt Ihr die „Sprache“ sprechen, die im Social Web gesprochen wird, und wollt Ihr das Social Web nicht nur als zusätzlichen Distributionskanal nutzen, sondern als Philosophie „leben“? Wenn auf diese Fragen ein wenig zögerliches „Ja!“ folgt, dann können Kommunen es versuchen mit diesem neumodischen Internet. Wenn aber die eigene Behördenkultur noch sehr von One-Voice-Policy-Denken, von Hierarchie und „Zensur“ sowie einem ungesunden Misstrauen in die Loyalität und den Menschenverstand der eigenen Mitarbeiter geprägt ist – dann wird ein Ausflug ins Social Web sicherlich nicht sehr große Fan-Zahlen produzieren. Denn: Es kommt natürlich auf den Content, aber vor allem auf die Gesprächshaltung an. Und die muss nicht einfach nur offen, sie muss herzlich, interessiert, empathiegetrieben sein. Eine Behörde im Social Web muss ihre Fans und Follower, Bürgerinnen und Bürger mit den sprichwörtlich offenen Armen empfangen. Und sie auch ganz kurz an ihr Herz drücken. Aufrichtige Emotionen – das bindet. Wer will schon mit einer Büroklammer befreundet sein? Am besten ist, wenn die Kommune Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, die privat im Social Web heimisch sind. Diese sind die Experten, die eine Kommune für ihre Social Web-Aktivitäten braucht. Wer gerne redet oder schreibt, gerne „gesellig“ ist – denn das bedeutet „social“ ja auf Deutsch – und wer sich nicht schwer tut damit, in 140 Zeichen eine interessante Geschichte zu erzählen, bringt schon mal alles mit für eine erfolgreiche Social-Media-Karriere. Und wer dann noch den Mut findet, vielleicht mal ein wenig albern oder keck oder einfach menschlich zu sein in seinen Postings und Behördendeutsch nicht als Muttersprache spricht, der oder die kann auch im Namen der Behörde posten. Die eigene Einstellung, die eigene Haltung halte ich für das Wichtigste.

Social-Media-Anwendungen unterliegen häufigen Änderungen, neue Angebote kommen hinzu, andere verschwinden oder verlieren an Relevanz. Wie begegnen Sie diesem hohen Innovationszyklus?

Warum die Stadt Frankfurt kein Pinterest benutzt

Harald Ille: Ich finde ihn erfrischend. Auch, wenn man nicht allem hinterherhecheln kann – dazu fehlt einfach die Zeit, und neue Angebote erzielen ja anfangs auch nicht die Reichweite, die eine Kommune benötigt, um einigermaßen effizient zu arbeiten. Ein tolles Angebot, das aber nur wenige Dutzend Bürger nutzen, ist für eine Großstadt mit 700.000 Einwohnern erst einmal irrelevant – es sei denn, das Angebot bedient eine so wichtige Nische, dass es trotzdem Relevanz entfalten kann. Oder, die rechtlichen Rahmenbedingungen sind noch etwas unklar. Frankfurt hat sich daher zwar für Google Plus, aber gegen Pinterest entschieden. Was natürlich nur einen momentanen Zustand beschreibt und morgen schon wieder ganz anders sein kann. Ich mag es aber, dass sich hier viel bewegt, dass jede Woche ein neuer Dienst seine Anwender sucht und findet – diese sehr kurzen Innovationszyklen halten die Motivation und das Interesse hoch, Routine stellt sich nicht so schnell ein. Das ist toll.

Facebook hat vor einiger Zeit entschieden, dass Städte ihre Facebookseite nicht mehr mit dem Städtenamen allein betreiben dürfen und sie zum Namenswechsel gezwungen (z.B. Berlin oder München). Wie stehen Sie zu dieser Entscheidung? Hat die Politik Facebooks Auswirkungen auf die strategische Ausrichtung der Social-Media-Aktivitäten der Stadt Frankfurt?

Facebooks Machtdemonstration ist eine heikle Sache

Harald Ille: Die Facebookseite hieß ja niemals „Frankfurt“, sondern immer schon „Stadt Frankfurt am Main“ – und so heißt die Stadtverwaltung nun mal: Auf jedem Bauschild, jedem amtlichen Briefkopf, selbst auf der Straßenbahn prangt dieser Name. Wie Facebook auf die Idee kommen konnte, dass die Frankfurter Fanpage nicht mehr so heißen dürfe, erschließt sich außerhalb des Facebook-Büros in Hamburg wohl niemandem. Okay, jetzt heißt die Frankfurter Facebookseite mit offiziellem Facebook-Segen wie die städtische Webseite FRANKFURT.de. Einige Städte haben sich ebenfalls in ihre URL umbenannt – ob dadurch die Absender der Postings von den Usern eindeutiger den Rathäusern zugeordnet werden kann, möchte ich nicht beurteilen. Aber hier hat Facebook aus meiner Sicht völlig unnötig seine Macht demonstrieren wollen – und leider kuschen wir alle vor der Firma. Das ist demokratietheoretisch wirklich eine heikle Sache: Eine Aktiengesellschaft aus den USA schreibt einer deutschen Regierungsinstitution vor, wie sie sich zu nennen hat. Tja, Bürokraten gibt es halt nicht nur in Verwaltungen… Die strategische Ausrichtung ändert das aber keinesfalls; die Umbenennung hat sogar den angenehmen Nebeneffekt, dass die städtische Webseite und die Facebook-Aktivitäten sichtbarer miteinander verknüpft sind. Da Frankfurt keinen Claim hat und sich auch keinen ausdenken will, wird auf eine programmatische Aussage zur Stadt verzichtet. Anders als Berlin, wenn mir dieser kleine Seitenhieb auf die Hauptstadt erlaubt ist: Die Facebook-Seite von Berlin meint ja, die Stadt sei „the place to be“. Klar, so ganz ohne Flughafen…

Wenn Sie auf Ihre bisherigen Erfahrungen zurückblicken – welche Tipps können Sie Kommunen geben, die sich heute für ein Social-Media-Engagement entscheiden? Welche Voraussetzungen sollten sie erfüllen?

Die Kommune muss Zuhören wollen

Harald Ille: Die Kommune muss den Dialog wollen, muss neugierig auf die Meinungen ihrer Bürger sein und Interesse haben an den Vorschlägen, die sie machen. Weil das in ihrem eigenen Interesse ist: Die Bürger sind „vor Ort“ und wissen besser als die Verwaltung, wo sie ganz konkret der Schuh drückt. Wo ist eine Straßenlaterne kaputt, wo könnte eine Ruhebank aufgestellt werden, wo sind die Ampelphasen zu kurz oder wo fehlt noch ein Bürgerhaus? Diese typischen kommunalpolitischen Fragen können die Bürger kompetent beantworten. Warum sollte die Kommune sie dann nicht fragen? Wenn sie aber fragt, muss sie die Antworten auch ernst nehmen und versuchen, die Ideen der Bürger auch umzusetzen. Es ist ein Geben und Nehmen zum beiderseitigen Nutzen. Also muss in der Verwaltung klar sein, dass diese neuen „Kanäle“ nicht nur welche zum Senden eigener PR-Botschaften sind, sondern weitaus mehr zum Empfangen von Botschaften der Bürger taugen. Die Kommune muss Zuhören wollen. Zudem sollte die Verwaltung den Mitarbeitern, die die Social-Media-Kanäle betreuen, angemessen vertrauen: Sie werden schon den richtigen Ton treffen, sich aus parteipolitischem Geplänkel heraushalten und aus eigenem Interesse heraus auch keine Dienst-Geheimnisse ausplaudern.

Und in der praktischen Umsetzung – worauf sollten Kommunen achten?

Harald Ille: Damit es ein Erfolg wird, benötigt man attraktiven Content, der die Bürger nicht nur interessiert, sondern sie im besten Fall von ihrer Kommune begeistert. In Frankfurt gibt es beispielsweise eine Reihe mit selbstironischen Videoclips mit Badesalz-Comedian Henni Nachtsheim und einen tollen monatlichen Foto-Wettbewerb auf Facebook, den die Community anfangs selbst gestartet hat und bei dem das „Bild des Monats“ ausgeplottet und am Römerberg ausgehängt wird. Solche Aktionen, die man in den wenigsten Fällen selber planen kann, binden die Bürger an die eigene Seite – und damit an die eigene Kommune.  Und das muss das Ziel aller Aktivitäten sein: Die Bürgerinnen und Bürger von der eigenen Stadt, dem eigenen Wohnort so zu überzeugen, dass sie niemals mehr weg und nirgendwo anders mehr wohnen wollen. Ein erreichbares Ziel, oder?

Herr Ille, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Harald Ille arbeitete bisher als Redakteur und Social-Media-Beauftragter der Stadt Frankfurt am Main. Nach zwölf Jahren im Presse- und Informationsamt der Stadt wechselt er die Branche – von der Kommune geht’s ins Gesundheitswesen. Ab 01. Oktober 2012 wird er als Online-Redakteur für das Uniklinikum Heidelberg tätig sein. Harald Ille ist gelernter Print-Journalist und studierter Historiker. Er schreibt regelmäßig für abcdesjournalismus.de und kommunezwonull.de und wird von anderen Großstädten in Deutschland, Österreich und der Schweiz als Referent für Social-Media-Workshops gebucht. Treffen kann man ihn unter anderem auch bei Xing.

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